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Led Zeppelin / Stairway to Heaven

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Der Debütant_Fortsetzung 6

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Am darauffolgenden Mittag bestieg Philippe in Bern den Zug in Richtung Toulon. Die Reise führte ihn mit dem InterCity nach Basel und von dort weiter mit dem TGV in Richtung Dijon. In Dijon musste er umsteigen und den TGV in Richtung Toulon nehmen. Die ganze Reise sollte gemäss Fahrplan sieben Stunden und 12 Minuten dauern. Eine wirklich tolle Leistung, wenn man bedenkt, welchen geographischen Umweg er zugunsten der CO2 Neutralität in Kauf nahm und wie sich trotzdem die Umweltbilanz gemäss der SBB präsentierte: minus 110,5 kg CO2-Ausstoss, minus 36,7 l Energieverbrauch und minus 1,1 h Fahrtzeit gegenüber einem anderen Fahrzeug.

Trotzdem wollte er in Toulon ein Auto mieten, um seine Termine zeitgerecht wahrnehmen zu können und auch, um eine gewisse Flexibilität wahren zu können. Auch wollte er die Nacht nach der Ankunft in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs verbringen, dies nicht zuletzt deshalb, um die nötigen Vorbereitungsarbeiten tätigen zu können. Selbstverständlich wollte er sich aber auch ausgiebig mit Bernard treffen und sich mit ihm austauschen. Das Hotel und das Mietfahrzeug konnte er im Zug buchen und er war erstaunt über die Stabilität der Internetverbindung. Alles verlief reibungslos und so traf Philippe zur vorhergesagten Zeit im ‘Gare de Toulon’ ein. – Bernard erwartete ihn bereits auf dem Perron.

Beide begrüssten sich äusserst herzlich und man spürte, dass sie sich aufrichtig freuten, sich wiederzusehen. Toulon war Bernard natürlich nicht fremd, hatte er ja selbst vor ein paar Jahren hier gearbeitet, und trotzdem schien sich in der Zwischenzeit doch so einiges geändert zu haben. Auf der Strasse erkannte er auf jeden Fall fast keinen der Flics mehr und die Strassenführung hatte sich auch merklich geändert. Einbahnstrassen hier und dort, und wo vor kurzem noch Gegenverkehr herrschte, wurde das Ganze nun neu mit Pollern beruhigt. Bernard war nicht nur glücklich ob dieser Entwicklung, wenngleich er sich innerlich immer wieder sagte, man müsse Veränderungen positiv gegenüberstehen.


Nachdem Philippe sein Zimmer im Grand Hôtel de la Gare für 69 Euro die Nacht (inklusive kostenloses WLAN!) bezogen hatte, begaben sich die beiden in ein nahes gelegenes Restaurant und wollten dort das Abendessen einnehmen. Die Speisekarte war nicht gerade üppig, so dass sich beide für ein Schinken-Käse-Sandwich entschieden und sich mit einem Bier begnügten. Philippe wollte schliesslich noch einiges erledigen, und Bernard nannte ihm den Treffpunkt für die morgige Zusammenkunft mit Thierry. Sie kamen darin überein, dass Philippe am Abend zu ihnen, also zu Bernard und Isabelle, kommen soll, und Bernard versprach Philippe, dass Isabelle etwas ganz Besonderes kochen werde. – Philippe freute sich schon sehr und alsbald verabschiedeten sich die beiden.


Am nächsten Morgen erwartete Philippe Thierry in einem nahen gelegenen Café in der Nähe des Bahnhofs. Philippe kannte Thierry zwar nicht, er würde ihn aber sicherlich erkennen, so wie er ihm von Bernard beschrieben worden war: schlaksiger Gang, verwaschene Jeans, Rollkragenpullover und irgendeinen «Trenchcoat» wie ihn nur Journalisten tragen. So eben das Cliché. Und tatsächlich, da trat er doch zur Tür herein. Philippe gab sich zu erkennen und stellte sich ihm vor. Auch Thierry begrüsste ihn und kam sofort zur Sache.

«Wenn du etwas von mir willst, dann nur in bar und auf die Kralle», so in etwa seine Begrüssungsworte. – Philippe wollte bekanntlich mehr über den Schlepper und die Art und Weise seiner Verhaftung erfahren. Auch sei es ihm wichtig, mit beiden, dem Schlepper und dem zuständigen Polizisten, welcher ihn verhaftet habe, sprechen zu können. Es gehe ihm darum ausfindig zu machen, ob in die ganze Angelegenheit auch Schweizer involviert seien.

Thierry erklärte, dass dies ein ganzer Haufen Fragen sei und dieser seinen Preis habe. Er könne ihm den Kontakt zum Flic vermitteln, welcher Louis Canal, andere nannten ihn auch Louis die Kanaille, verhaftet habe. Der «Schurke» von Toulon war allseits bekannt, und hatte wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch nie einen ‘Sou’ ehrlich verdient.

Philippe reichte Thierry einen Hunderter und dieser sicherte ihm zu, dass sich Jérôme Gaillard, so wie der Flic hiess, bei ihm melden werde. Ein Zusammentreffen sollte im Verlauf des Tages möglich sein. Philippe gab ihm seine Telefonnummer.

Jérôme lebte nach dem Grundsatz: Was du heute kannst besorgen, verschiebe lieber auf morgen, dann hat es sich vielleicht schon von selbst erledigt. Ganz offensichtlich suchte er die Arbeit nicht, und so war es auch in diesem Fall. Erst im Verlauf des späteren Nachmittags, aber immerhin, meldete er sich bei Philippe und stellte ihm ein kurzes Tête-à-Tête in Aussicht. Dieses fand dann auch um 1700 Uhr im Bahnhofrestaurant statt.

Ja, Louis sei ein schlimmer Finger, und er habe wahrscheinlich schon so alles gemacht, was Gott verboten hat. Bei Louis müsse man gar nicht gross nachfragen, irgendetwas bleibe immer hängen, und so sei es auch in diesem Fall gewesen; so der Tenor von Jérôme. Mit etwas Nachhilfeunterricht habe er angefangen zu singen wie ein Vögelchen. – Jérôme lachte.

Philippe wollte gar nicht nachfragen und erkundigte sich bloss, ob er allenfalls mit Louis zusammenkommen könne. «Oh, c’est difficile», gab Jérôme zur Antwort, aber er werde versuchen für Philippe eine Besuchsbewilligung im Polizeigefängnis zu erwirken. Das sollte mit seinen «Kontakten» eigentlich möglich sein. – Jérôme schaute Philippe tief in die Augen, und dieser verstand seine Aufforderung. Weitere zwei Hunderter wechselten den Besitzer.

Aufgrund dieser kleinen Geste für seine Umtriebe stellte Jérôme Philippe den Besuch bei Louis für morgen Vormittag so gegen 1100 Uhr in Aussicht. Da sei Schichtwechsel im Gefängnis und auf einen Besucher mehr oder weniger werde dann nicht so geachtet. Bis dahin könne er ja noch ein wenig die schöne Stadt besichtigen. Mit diesen Worten verabschiedete sich Jérôme und liess selbstverständlich Philippe die Rechnung begleichen.

Das Ganze kam Philippe nicht ungelegen, wollte er doch – wie in Aussicht genommen – Bernard und Isabelle einen Besuch abstatten; hatten sie ihn doch zum Abendessen eingeladen. Im Verlauf des Nachmittags konnte er sein Mietauto behändigen, welches er im Verleih Sixt, ebenfalls in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof, gebucht hatte.


Die Reise nach Saint-Maxime sollte in etwa eineinviertel Stunden in Anspruch nehmen und betrug gemäss Bordcomputer seines Mietfahrzeuges 95 km. Der Weg führte über die A50, danach über die A57 und A570 und schliesslich über die A98 nach Gassin, wo er noch kurz Halt machen wollte, um Isabelle einen kleinen Blumenstrauss mitzubringen. Danach ging es auf der bekannten D559 ins Zentrum von Saint-Maxime und von dort zum Haus von Bernard und Isabelle. – Philippe kündigte seine Ankunft so gegen 2000 Uhr an.

Die Begrüssung war äusserst herzlich und allen voran wollte natürlich Dissan der erste sein, welcher Philippe begrüssen wollte. Dissan war ganz schön gewachsen und er wurde wirklich ein wunderschöner Hund mit seinen aufrechtstehenden Ohren. Isabelle umarmte Philippe und zeigte ihm ihre Zuneigung mit drei ‘bisous’, den in Frankreich üblichen drei Küssen an die Wange, wenn man sich mochte und schon ein wenig besser kannte. Philippe konnte nicht anders als ihre Schönheit zu rühmen und ihre Herzlichkeit zu verdanken.

Bernard war fast schon ein bisschen eifersüchtig, jedoch bestand dazu absolut kein Grund. Philippe erklärte sich und befand, dass er selber sich ganz und gar nicht zu beklagen habe und mit Deborah ebenfalls eine wundervolle und hübsche Frau habe; aber man sei halt eben «Mann» und da schaue man ab und zu schon einmal ein wenig genauer hin, so der Kommentar von Philippe. – Alle drei lachten und betraten das Haus.

Wie von Bernard in Aussicht gestellt, wollte Isabelle etwas Besonderes zum Abendessen kochen; zwar einfach aber typisch Französisch. Es gab eine Saucisse de Toulouse, eine Bratwurst, die nur in der Stadt Toulouse hergestellt wird und auch nur dort erhältlich ist, sofern sie das Gütesiegel “Label Rouge” trägt. Die Wurst wird aus Schweinefleisch hergestellt und wird gegrillt oder gebraten gegessen. Bernard hat die Würste von einem Bekannten erhalten, welcher ihn vor allem in der Winterzeit regelmässig damit versorgt. Dazu gab es frischen, grünen Lauch mit einer Rahmsauce verfeinert und ein ausgesprochen schmackhaftes Gratin dauphinois. – Philippe konnte sich kaum satt essen, so fein mundete das Essen und er war voll des Lobes für die Köchin. Selbst der kredenzte Wein, ein Chateau Cadet-Piola, Saint-Émilion Grand Cru (Grand Cru Classé) mit Jahrgang 2011 mochte hier kaum Schritt halten, obschon er ausgezeichnet war.

Der Abend verging so schnell, und so baten Bernard und Isabelle Philippe, dass er die Nacht doch bei ihnen verbringen möge. Er sei dann morgen früh schon rechtzeitig für seinen Besuch im Gefängnis. – Philippe nahm das Angebot dankend an und so konnten sich alle noch einen kleinen Digestif gönnen. - Bevor Philippe zu Bett ging, wünschte er Deborah über WhatsApp eine gute Nacht und schickte ihr einen Gutenachtkuss.


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Am nächsten Morgen ging es also in Richtung Prison Farlède in Toulon. Das Gefängnis lag am nordöstlichen Rand von Toulon und war etwa 12 km vom Bahnhof entfernt. Pünktlich um 1100 Uhr meldete er sich an der Pforte und bat um Einlass. Sein Besuch bei Louis war in der Tat angemeldet und somit wurde ihm der Zutritt auch gewährt. In einem kleinen Besprechungszimmer traf er sich sodann mit Louis.

Louis war ein Mann Mitte fünfzig, untersetzt aber muskulös, mit fettigem Haar und Dreck unter den Fingernägeln. «Was willst du? Ich kenne dich nicht. Bist du ein Bulle?», so die Begrüssung von Louis.

Philippe erklärte ihm, dass er weder Polizist noch Journalist sei, sondern ein Buch über die Schleppertätigkeit in Richtung Schweiz schreiben wolle und derzeit am Recherchieren sei. Er habe den Hinweis erhalten, dass er, Louis, ihm da weiterhelfen könne.

«Vielleicht, aber das kostet etwas», war die Antwort von Louis. «Ok, wieviel?», fragte Philippe. «Zweihundert. An die Adresse, die ich dir jetzt sage. Merk sie dir gut. Wenn du mich verarscht, wirst du es bereuen.» - Philippe willigte ein, und der Deal war geschlossen. Die Informationen, die Louis liefern konnten waren wirklich interessant und lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen:

Natürlich gebe es Menschenhandel und Menschenschmuggel, aber nicht von der Schweiz aus. Er kenne die Szene bestens und wisse genau, was sich wann, wo und wie abspiele und auch wer beteiligt sei; namentlich in Südfrankreich. Und hier, weder in Nizza, noch in Toulon, noch in Marseille, noch in Toulouse noch irgendwo, hätten Schweizer ihre Finger im Spiel. – Sie liessen sich doch nicht ihr Geschäft vermasseln. Da werde peinlich genau darauf geachtet, wer mit wem Geschäfte treibe und Schweizer seinen keine darunter, so der Tenor. Auch gebe es keine Schiffe – auch keine Kreuzfahrtschiffe –, welche unter Schweizer Flagge fahren und auf diesem Weg Personen illegal die Einreise nach Frankreich ermöglichen würden. - Die Schweiz sei in diesem Bereich sauber. In anderen sehe es vielleicht anders aus.

Philippe war erstaunt ob der Offenheit und Klarheit in der Sprache von Louis und sah auch keinen Grund, weshalb Louis ihn anlügen sollte. Wie es schien, stimmten die Informationen der Geheimdienste nicht oder waren zumindest zu wenig bestimmt. Man baute da ganz offensichtlich auf Quellen vom Hörensagen, ohne die Informationen zu prüfen und das war gefährlich.

Philippe verabschiedete sich von Louis und sicherte ihm zu, sein Versprechen einzuhalten. Er entschloss sich, zurück ins Hotel zu gehen und dort über das Ganze nachzudenken. Noch bevor er sein Zimmer betreten konnte, wurde er von zwei Polizisten in Uniform angehalten. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er verhaftet sei. Die Handschellen klickten auf seinem Rücken und als Grund für die Verhaftung wurde ihm Bestechung vorgeworfen.


Philippe sah sich im gleichen Gefängnis wieder, wo er noch am Morgen Louis besucht hatte, dieses Mal allerdings nicht im Besucherraum, sondern in einer Einzelzelle.

Natürlich wurden ihm Schnürsenkel und Hosengurt abgenommen und selbstverständlich auch das Portemonnaie und sein Handy. Die Schuhe beliessen sie ihm, hiessen ihn aber mit Deutlichkeit an, damit keinen Unfug zu machen. – Schuhe konnten bekannterweise auch als Schlagwerkzeug eingesetzt werden.

Nachdem Philippe nun doch schon mehr als zwei Stunden in seiner Zelle sass, erkundigte er sich beim Wärter, wie es denn nun weitergehe. Dieser zuckte nur mit den Schultern und schloss die Gefangenentür. – Philippe kam sich vor wie ein Schwerverbrecher. Er musste auf irgendeine Art und Weise Kontakt zur Aussenwelt aufnehmen, aber wie?

Mit dem Anwalt der ersten Stunde schien man es in Frankreich, oder zumindest hier in Toulon, nicht allzu ernst zu nehmen. Zumindest hatte ihn niemand darauf aufmerksam gemacht. Als er schliesslich selber nach einem Anwalt fragte, wurde ihm erläutert, respektive klargemacht, dass dies Zeit bis morgen habe. Auch ein Telefonat mit Deborah oder der Schweizer Botschaft wurde ihm verwehrt. – Nichts, aber auch gar nichts wurde ihm gestattet. Philippe sah sich so hilflos wie noch nie in seinem Leben.

Um Punkt 1800 Uhr erhielt er das Nachtessen, eine Linsensuppe mit Brot und Tee, welcher absolut nach nichts schmeckte. Philippe hatte sowieso keinen Appetit, womit ihm nichts anderes übrigblieb, als darüber nachzugrübeln, wer ihn da reingeritten hatte. War es Louis – das glaubte er nicht, schliesslich schuldete er ihm noch etwas; war es Thierry, das Schlitzohr, welcher vielleicht doppelt kassieren wollte, aber auch der Gedanke verflüchtigte sich. Blieb nur noch Jérome, das Arsch, welcher nicht auf seinen Mund hocken konnte oder sonst wie Dreck am Stecken hatte und sich dadurch schönzureden versuchte, indem er Philippe anschwärzte.

So musste es sein. Eine andere vernünftige Erklärung kam Philippe nicht in den Sinn.

Punkt 2000 Uhr war Lichterlöschen, und Philippe erhielt eine zweite Wolldecke. Es war saukalt. In der Nacht fröstelte es ihn, und er erwachte oft. Auch das Urinieren zur Nachtzeit war eine Herausforderung, die er niemandem zumuten würde. Ohne Licht und dann an einem Ort, das fürchterlich stank. – Hoffentlich konnte er das Gefängnis bald wieder verlassen.

Die Anklage war jedoch nicht einfach «Nichts». – Bestechung: Ein Vergehen oder gar ein Verbrechen – Philippe wusste es nicht so genau – jedoch nicht eine einfache Übertretung, die man mit ein paar Euro begleichen konnte. - Das Ganze konnte elendiglich mühsam werden.


Am nächsten Morgen erkundigte sich Philippe abermals nach einem Anwalt oder zumindest nach der Möglichkeit telefonieren zu dürfen. Der Wärter beschied ihm, dass darüber der Untersuchungsrichter zu befinden habe und der sich erst im Verlauf des Tages mit ihm befassen könne. Philippe sass in der Zwischenzeit schon fast 24 Stunden im Gefängnis.

Deborah werde sich wohl Sorgen machen, besann sich Philippe und er sehnte sich nach ihr und nach Enrico. Er sehnte sich nach seinem Zuhause und nach der Schweiz. Hier war einfach alles anders, dachte er, obschon dies vielleicht gar nicht stimmte.

Auf einmal kam der Wärter vorbei und brachte ihm sein Handy. Er dürfe einen Anruf tätigen, aber nur einen und nicht länger als drei Minuten. – Philippe überlegte sich, wen er denn nun anrufen und um Hilfe bitten wollte. Bernard kam für ihn nicht in Frage, da er ihn nicht kompromittieren wollte. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass, wenn man einmal weg vom Fenster war, man auch nichts mehr von seinen ehemaligen Kollegen erwarten durfte. Seine Frau Deborah wollte er nicht unnötig ängstigen, auch wenn sie Anspruch darauf hatte zu wissen, wie es um ihn steht. Einen Anwalt kannte er nicht, und es wurde ihm auch keiner empfohlen. Also blieb für Philippe nur eine Adresse, jene von seinem Freund Freddy. Er wollte ihn kontaktieren und ihn um Hilfe bitten.

«Hallo Freddy, ich sitze in der Scheisse und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ich bin im Gefängnis Farlède in Toulon und mir wird Bestechung vorgeworfen. Freddy, ich brauche deine Hilfe.» «Ok, Philippe, ich hab’s verstanden und werde mein Möglichstes tun. Halt die Ohren steif und lass dich nicht unterkriegen.»

Freddy orientierte unverzüglich Frau Sütterli und diese Frau Vögtli. Selbstverständlich waren beide ob den Verkommnissen nicht erfreut, sie befanden aber trotzdem, dass sie Philippe nicht hängen lassen konnten. Wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb und um weiteren Schaden abzuwenden, setzte sich Frau Vögtli für Philippe ein. Eine diplomatische Verstimmung war das Letzte, was sie brauchen konnte und so kontaktierte sie einen «befreundeten» Dienst, der ihr weiterhelfen sollte. Dieser wiederum wollte sich der Sache annehmen, und so kam es, dass Philippe am darauffolgenden Tag entlassen wurde. – So einfach konnte es gehen.


Ursprung für die Verhaftung waren, wie Philippe richtig vermutet hatte, die Machenschaften von Jérôme. Diese waren der französischen Justiz und Polizei schon seit längerem ein Dorn im Auge und sie hielten ihn unter Kontrolle. Nach dem Treffen mit Philippe und den überreichten 200 Euro war für die zuständigen Beamten klar, dass sie jetzt zuschlagen wollten. Jérôme war ihrer Meinung nach ganz offensichtlich bestechlich und dem musste der Riegel geschoben werden. Dass die Dienstleistung, wenn überhaupt, nur geringfügig war, und der ausgehändigte Betrag auch als Obolus für entstandene Unkosten seitens Jérôme hätte verstanden werden können, kam den Beamten gar nicht in den Sinn. Auf jeden Fall liess sich der Vorwurf der Bestechung, respektive der Annahme von Geschenken, nicht erhärten. – Sowohl Philippe als auch Jérôme, welcher ebenfalls kurz in Haft versetzt worden war, wurden vom Haftrichter freigelassen.


Nun wollte Philippe nichts anderes mehr als nach Hause zurückehren. Dies allerdings nicht, ohne vorher seiner Verpflichtung Louis gegenüber nachzukommen und die besagte Adresse aufzusuchen. Sie befand sich im Hafenquartier von Toulon. Dort traf er eine junge, hübsche Frau an, Anfang zwanzig, mit einem kleinen Jungen. Sie stammte der Hautfarbe nach aus einem Maghreb-Staat, vermutlich aus Algerien. Nein, Louis sei nicht der Vater ihres Sohnes, aber er schaue immer wieder zu ihnen und gebe ihr ab und zu auch etwas Geld, und dies ohne irgendwelche Gegenleistung. Ihren Unterhalt verdiene sie mit Putzen und sie komme einigermassen über die Runden. Louis habe ein gutes Herz und sie möge ihn, dies trotz seiner Machenschaften. Der Spruch: Harte Schale, weicher Kern, schien auch hier zu stimmen. – Philippe nahm dies so zu Kenntnis und er rundete den geschuldeten Betrag nach oben auf, selbstverständlich aus seiner eigenen Tasche.

Von Bernard verabschiedete er sich am Telefon und wünschte ihm und Isabelle alles Gute. Natürlich orientierte er ihn noch kurz über das Vorgefallene und hoffte, sie beide – und selbstverständlich auch Dissan – bald wieder zu sehen. Bernard war betrübt ob den Erfahrungen, welche Philippe mit der französischen Polizei machen musste und sprach ihm sein Missfallen ob dem Vorkommnis aus. – Die Welt sei einfach nicht mehr so, wie sie auch schon war; so das Resümee von Bernard.

Philippe bestieg den nächsten Zug in Richtung Bern. Die Reise dauerte dieses Mal etwas länger, was Philippe jedoch egal war. Hauptsache weg von hier und zurück zu seinen Liebsten. Zuhause angekommen wurde er überschwänglich von Enrico begrüsst, und auch Deborah umarmte ihn herzlich. Er erzählte ihr die ganze Story und musste sich nicht wundern, dass Deborah ein wenig verschnupft war.

Sie habe sich Sorgen gemacht und gewusst, dass etwas nicht stimmen würde, nachdem er sich zwei Tage nicht gemeldet habe. Sie hätte schon erwartet, dass er ihr mitgeteilt hätte, was vorgefallen war und sie sei ob seinem Verhalten ein wenig enttäuscht, vor allem, weil er nicht sie, sondern Freddy kontaktiert habe. Sie hätte ihm ebenso gut helfen können!

Dem konnte und wollte Philippe nichts hinzufügen und er bat Deborah um Verständnis, dass er nun schlafen gehen wolle, denn er sei todmüde.

Am nächsten Morgen war die ganze Sache gegessen, und Deborah begrüsse Philippe mit einem feinen Frühstück. Enrico war wie immer auf Zack und wollte von seinem Herrchen ausgiebig begrüsst werden. Streicheleinheiten links und rechts, Kuscheleinheiten auf den Bauch und letztlich Kraueln auf dem Rücken. Deborah besänftigte ihren Ton von gestern und schenkte Philippe einen liebevollen Gutenmorgengruss. – Für Philippe war die Welt sowieso schon wieder in Ordnung und er musste Deborah ja eigentlich recht geben, hätte sie doch Anspruch darauf gehabt, als Erste informiert zu werden. Wäre es umgekehrt gewesen, hätte er vermutlich gleich reagiert.


Nun war es wieder an der Zeit, sich seinem Auftrag zu widmen. Vorweg wollte er sich allerdings bei Freddy für seine Unterstützung und Hilfeleistung bedanken. Das Telefon klingelte vorerst ins Leere. Doch nach nur kurzer Zeit meldete sich Freddy und erkundigte sich nach seinem Befinden. Philippe erzählte ihm, dass er wohlbehalten wieder zuhause sei und er ihm tausendmal dafür danke, was er für ihn getan habe. Eine ähnliche Erfahrung wünsche er niemandem und er sei nur froh, heil aus der ganzen Sache davon gekommen zu sein.

Freddy teilte seine Ansicht und schlug ihm ein weiteres Treffen im ‘Lorenzini’ vor, wo er ihn ausführlich über seine Erfahrungen und Erkenntnisse orientieren konnte.


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